Narrative Strategien in der TV-Serie Desperate Housewives

Marion Fuchs

"Everyone has a little dirty laundry", so lautet der Slogan der Fernsehserie Desperate Housewives und kündigt damit schon an, worum es in der Serie geht: Eigentlich jede Figur hütet ein kleines oder großes schmutziges Geheimnis. Nach außen hin scheint im idyllischen Vorstadtsträßchen "Wisteria Lane", in dem die Serie überwiegend spielt, zwar alles perfekt, doch hinter verschlossenen Türen verbergen sich die Familiengeheimnisse. Alles hat zwei Seiten.

Zunächst werde ich die vier weiblichen Hauptdarstellerinnen vorstellen, und anschließend auf die Erzählerin eingehen, die uns geheime Einblicke in das Leben ihrer Ex—Nachbarn ermöglicht, und ohne die die Serie nicht funktionieren würde. Die Perspektive der Erzählerin spiegelt sich auch in den Kameraeinstellungen wieder, welche später genauso Thema sein werden wie das "50er-Jahre-alles-ist-bunt-und-alle-sind-glücklich-Setting", das den krassen Gegensatz zum Inhalt darstellt. Die Heldinnen in der Serie sind allesamt Hausfrauen, was für viele Programmdirektoren so langweilig klang, dass sie sich weigerten, das Konzept von Desperate Housewives zu kaufen. Beinahe wäre die Serie deshalb nicht gedreht worden, obwohl deren Hausfrauen alles andere als langweilig sind und immer wieder mit den Konnotationen, die wir gewöhnlich mit dem Terminus "Hausfrau" haben, brechen. Mit welchen neuen Konnotationen der Begriff stattdessen belegt wird, und warum es darüber so viel Streit und Diskussionen gab, darauf werde ich am Schluss meines Essays eingehen.

Die Charaktere

Eine der vier Hauptdarstellerinnen ist Gabrielle, die von ihrem Ehemann zwar mit Diamanten und neuen Autos jedoch mit wenig Liebe überschüttet wird. Sie rächt sich und schläft heimlich mit dem minderjährigen Gärtner. Lynette, früher aufstrebende Karrierefrau, ist heute Mutter von vier völlig überdrehten Kindern, deren Vater meistens auf Geschäftsreise ist. Lynette ist mit ihrem Nachwuchs derart überfordert, dass sie Tabletten schluckt, um durchzuhalten. Die chaotische Susan wurde von ihrem Mann wegen dessen Sekretärin verlassen und erzieht seitdem ihre Teenagertochter alleine. Doch Mutter und Tochter leben mit vertauschten Rollen: Während die Tochter vernünftig und zielstrebig ist, benimmt sich Susan meistens wie ein naiver, unsicherer Teenie und gerät durch ihre Schusseligkeit oft in Schwierigkeiten. Die vierte im Bunde ist Bree), die perfekte Hausfrau. Sie wirkt als wäre sie einer 50er-Jahre-Waschmittelwerbung entstiegen: Ihr Haus ist perfekt gepflegt, ihr Haar ist perfekt gestylt, und ihr Lächeln ist perfekt einstudiert. Nur ihr Familienleben ist alles andere als perfekt. Ihre Kinder können sie nicht besonders leiden, und ihr Mann will die Scheidung, weil ihr Perfektionismus ihn wahnsinnig macht. Dabei sollte er sich lieber nicht mit ihr anlegen, denn Bree ist überzeugtes Mitglied der NRA.

In der Pilotfolge der Serie werden die vier Frauen den Zuschauern vorgestellt, dafür hat sich der Regisseur etwas Besonderes einfallen lassen: Jede von ihnen wird mit Hilfe von Essen charakterisiert, das sie zu einer Beerdigung mitbringt (Clark o.S.). Das ist gerade deshalb eine besondere Idee, weil Hausfrauen ja vor allem früher oft an der Qualität ihrer Kochkünste gemessen wurden. Talent beim Kochen und gelungenes Essen sind nach dem traditionellen Verständnis im Grunde sogar bis heute eines der wesentlichen Charakteristika für eine gute Hausfrau. Wer die Makkaroni vermurkst, wie Susan, oder gar keine Zeit zum Kochen hat, wie Lynette, versagt als Hausfrau oder vielleicht sogar als Frau? Die Antwort darauf gibt Bree: Sie zeigt, dass eine perfekte Hausfrau noch lange kein harmonisches Familienleben macht. Keiner könnte perfektere Muffins backen oder exklusivere Gerichte zubereiten als Bree, aber ihre Familie ist unglücklich, wie dieses Bild zeigt. Auch Gabrielles Ehe hält nur wegen ihres "Ausgleichs" mit dem Gärtner, der ihr die Anerkennung entgegen bringt, die ihr Mann ihr verwehrt. Gabrielles Essen ist scharf, ein Symbol dafür, dass sie das Bedürfnis nach ein "bisschen Würze" in ihrem recht langweiligen Leben hat.

Die vier Hauptfiguren sind so verschieden, dass sie ausreichend Identifikationsmöglichkeiten für alle Zuschauer bieten, und das sind jede Menge: In den USA hatte Desperate Housewives durchschnittlich 25 Millionen Zuschauer, von denen übrigens sogar 40 Prozent männlich waren. Bei den Männern waren nur Football, CSI und The Simpsons beliebter als Desperate Housewives (Fernandez o.S.). Kein Wunder, dass der Werbepreis für einen 30-Sekunden-Spot während der Serie auf 600.000 Dollar nach oben schnellte (Hornig 182). Auch in Deutschland läuft Desperate Housewives erfolgreich, im Schnitt sehen rund 3 Millionen Menschen die Sendung, davon allein eine halbe Million Zuschauer in Bayern. 1 Übrigens sind angeblich alle Folgen außer der ersten nach bekannten Songs benannt und heißen z. B. "Suspicious Minds" oder "Love is in the air".

Warum ist die Serie so erfolgreich? Ein Faktor ist sicherlich, dass Geheimnisse so verlockend sind. In Desperate Housewives gibt es erstens genügend davon und zweitens erfährt der Zuschauer schon lange vor den Figuren, was eigentlich los ist. Die übernatürliche Erzählerin verrät jede Menge pikante Details aus der "Wisteria Lane".

Die Erzählerin

Die Erzählerin in Desperate Housewives weiß einfach alles. Woher? Ganz einfach: Sie ist tot. Mary Alice, ehemalige Nachbarin der vier Frauen aus der "Wisteria Lane", hatte selbst ein nach außen hin so wunderbares Leben-die perfekte Familienidylle-aber eines schönen Tages bringt sie sich plötzlich um. Bereits vor ihrem Selbstmord trägt Mary Alice, einem Geist gleich, ausschließlich helle Kleidung. Der Anfang der Pilotfolge stellt die Gegensätze in der Serie sehr passend dar: Auf der einen Seite das idyllische Familienleben, das die Hausfrau und Mutter Mary Alice, die alle Dinge zuverlässig, zielstrebig und perfekt erledigt, maßgeblich erschaffen hat. Auf der anderen Seite die dunklen Schatten in diesem Leben, auf deren Ursache der Zuschauer erst im Laufe der Serie kommt.

Nach ihrem Tod kehrt Mary Alice wieder in die "Wisteria Lane" zurück und führt den Zuschauer durch die Serie. Die Erzählerin ist also Teil der Geschichte, ein so genannter "inside narrator", der vom Zuschauer gemeinhin als weniger objektiv empfunden wird. Doch Mary Alice soll ja auch nicht objektiv sein, im Gegenteil: Sie soll uns die geheimsten Geheimnisse ihrer Nachbarn offenbaren, und das kann sie nur, weil sie Insider ist. Sie weiß nicht nur was geschieht, sondern kennt auch die Gefühle und Gedanken der Figuren. Mary Alice wirkt dadurch auf den Zuschauer sehr mächtig. Dennoch verrät sie uns nicht alles, durch ihre kleinen Andeutungen wird immer wieder klar, dass sie manche Dinge zwar weiß, jedoch (noch) nicht zur Sprache bringt. Die Erzählerin weiht uns Zuschauer also nur bis zu einem gewissen Grad ein, die restlichen Leerstellen müssen wir selbst füllen. So entsteht Spannung wie in einem Krimi, in dem wir selbst Detektiv sind.

Die Frage ist: Können wir uns auf Mary Alice verlassen? Ist sie ein so genannter "reliable narrator"? Darüber bleiben wir als Zuschauer im Unklaren, was wiederum die Spannung steigert. Auf jeden Fall ist Mary Alices Erzählstil subjektiv, zum Teil ironisch und bisweilen sogar sarkastisch. Als moralische Instanz bewertet sie das Verhalten ihrer ehemaligen Nachbarn und spart nicht mit Lebensweisheiten (Gilbert o.S.). Ohne die Erzählerin würde die Serie nicht funktionieren, sie verbindet die einzelnen Handlungsstränge und ist die Grundvoraussetzung für den Blick in "Nachbars Garten".

Kameraperspektiven und Beleuchtung

Die Perspektive der übernatürlichen Erzählerin, mit deren Augen der Zuschauer das Geschehen verfolgt, wird durch die Kameraeinstellungen betont. Am Anfang der Serie beispielsweise schwenkt die Kamera von oben in die "Wisteria Lane", als würde der Geist von Mary Alice vom Himmel in ihre ehemalige Nachbarschaft zurückkehren. Am Ende der Folge wiederum zoomt die Kamera von den Figuren weg wieder zurück nach oben, als würde Mary Alice ihre vier Freundinnen jetzt wieder sich selbst überlassen. Diese Zooms kommen auch in anderen Folgen der Serie regelmäßig vor.

Des Weiteren schaut Mary Alice, und damit auch der Zuschauer, ihren Ex-Nachbarn bei ihrem Tun über die Schulter, wie die Kameraperspektive verdeutlicht. Doch Mary Alice kann als Geist noch mehr. Sie kann durch Wände sehen und die Figuren bei allem beobachten. Generell werden in Desperate Housewives überwiegend Halbtotalen verwendet, Close-Ups kommen so gut wie gar nicht vor. Die Perspektive soll schließlich die der daneben stehenden Beobachterin Mary Alice sein, die die Gesichter der Figuren ja nicht selbst "heran zoomen" kann.

In der Serie spielen auch Licht und Schatten eine wichtige Rolle, besonders um die Licht- und Schattenseiten der Figuren darzustellen: Befinden sich die Charaktere in einem inneren Zwiespalt oder sind sie für den Zuschauer verdächtig und undurchschaubar, werfen sie deutliche Schatten. Zwei Beispiele zeigen das sehr gut: Erstens das Bild von Bree, als ihr Sohn Fahrerflucht begangen hat, und sie entscheiden muss, ob sie ihn anzeigt oder nicht. Ihr innerer Zwiespalt wird durch ihren Schatten verdeutlicht, während sie Rat in der Bibel sucht. Zweitens das Bild von Zach, dem Sohn der toten Mary Alice. Was hat er mit dem Tod seiner Mutter zu tun, ist er psychisch gestört oder nur Opfer seines skrupellosen Vaters? Der Zuschauer kann das nicht einschätzen, vermutet aber, dass auch er seine dunkle Seite hat, was wiederum durch seinen Schatten unterstrichen wird.

Generell ist die Beleuchtung in der "Wisteria Lane" jedoch die eines schönen Sommertages. Die Straße und die Häuser sind hell und Licht durchflutet. Jeden Tag scheint die Sonne auf die sauber geputzten Häuschen-das perfekte Vorstadtidyll.

Das Setting

Die "Wisteria Lane" ist sehr gepflegt, sauber und grün. Das Setting ist im Stile der 50er Jahre gehalten: pastellfarbene Häuser mit Erker, Veranda, weißen Gartenzäunen, englisch frisiertem Rasen und teuren Wagen in der Garage. Man wartet fast darauf, dass wie in der Truman Show plötzlich ein Scheinwerfer vom Himmel fällt, so perfekt sieht alles aus (vgl. Hanfeld 44). Die Serie wird übrigens witzigerweise tatsächlich in Kulissen gedreht, die schon für 50er-Jahre-Heile-Welt-Filmchen mit Ronald Reagan und Doris Day benutzt wurden (vgl. Hornig 182).

Desperate Housewives spielt in einer amerikanischen Vorstadtstraße in einer gut betuchten Gegend. Hier gibt es keine Anonymität, man kennt seine Nachbarn und grüßt sich freundlich, auch wenn einem dabei ganz andere Gedanken durch den Kopf gehen mögen. Im Gegensatz zu Sex and the City, das das Leben in der Großstadt zeigt und sich um Mode, Männer und Sex dreht, geht es hier um das Leben in "Suburbia" und um Familie und Ehe-sozusagen "Vorstadt statt Fifth Avenue" (vgl. Hornig 182). Setting plus sonniges Ambiente erwecken im Zuschauer den Eindruck, dass hier in der "Wisteria Lane" die Welt noch in Ordnung und die vermeintliche Idylle der 50er Jahre lebendig ist. Was natürlich nicht stimmt, wie bereits mit dem Selbstmord von Mary Alice klar wird. Deshalb hat Marc Cherry, der Erfinder der Serie, auch den bedeutsamen Namen "Wisteria Lane" gewählt, denn Wisteria oder auf Deutsch Blauregen oder Glyzinien sind Kletterpflanzen, die schön blühen, aber einen Garten komplett überwuchern können (vgl. Reissmann 1). Damit machen sie einerseits allen anderen Pflanzen den Garaus, außerdem bilden sie andererseits einen dichten Pflanzenteppich, hinter dem sich einiges verstecken lässt.

Hausfrauen als Serienheldinnen

Eine Serie über Hausfrauen? "Das kann ja nichts werden, das will ja keiner sehen, viel zu langweilig!", haben die großen, amerikanischen Sender - also CBS, NBC, HBO und FOX-auf den Vorschlag von Housewives -Erfinder Marc Cherry geantwortet und sein Serienkonzept abgelehnt (vgl. Hornig 182). Eine Entscheidung, wegen der die Verantwortlichen wahrscheinlich noch bis an ihr Lebensende den Kopf gegen die Wand schlagen könnten. Der kleine, fast bankrotte Sender ABC war dagegen schlauer, schlug zu und ist seitdem finanziell saniert. Die Zuschauerzahlen sprechen für sich, des Weiteren wurde die Serie mit zahlreichen Preisen, darunter zwei Golden Globes, ausgezeichnet-ein Beweis dafür, dass eine Sendung über Hausfrauen nicht automatisch langweilig sein muss. Natürlich geht es aber im Leben der Housewives auch um spannendere Dinge als Geschirr spülen, Wohnung putzen und Essen kochen.

Tatsächlich bricht Desperate Housewives mit den gewöhnlichen Konnotationen beim Begriff Hausfrau. Beim Wort "Hausfrau" denken wir eher an Eigenschaften wie mütterlich, fürsorglich, praktisch gekleidet, aber auf keinen Fall top-gestylt oder sexlüstern. Die typische Hausfrau sieht in der gängigen Vorstellung doch mehr aus wie Mutter Beimer als Heidi Klum. Doch das gesellschaftliche Bild von Hausfrauen hat sich in den letzten Jahren geändert, und deshalb dürfen die Housewives sexy, modisch und 90-60-90 sein, auch wenn das mit der Realität nicht unbedingt viel zu tun hat, und in der Wirklichkeit keine Frau in Designerklamotten die Toilette putzt.

Die Housewives sind außerdem mehr als nur Mütter und Ehefrauen, sie sind familiäre Krisenmanagerinnen mit Zusatzqualifikationen in Sozialpädagogik, Psychologie und Modetrends. Eines ist dabei ganz neu: Die Frauen dürfen überfordert sein und versagen. Sie dürfen ihre Kinder auch mal hassen, und sie sogar, wie Lynette, an der Straße aussetzen, ohne in der Serie als schlechte Mutter verurteilt zu werden (Billen o.S.). Die Einzige, die die klassisch-traditionelle Hausfrau verkörpert, ist Bree. Sie ist die Kopie einer Stepford-Frau, also eines computerchipgesteuerten Putzteufels aus einem bekannten Hollywoodfilm. Eigentlich ist Bree aber von allen Housewives die Traurigste. Sie kann sich ihre eigenen Ängste und Schwächen weder eingestehen noch mit ihnen umgehen. In Wirklichkeit ist ihr Familienidyll am brüchigsten von allen (vgl. Heuser 55). Bree selbst kann zur bitterbösen Furie werden und mischt ihrem scheidungswilligen Gatten schon mal Zwiebeln ins Essen, obwohl er dagegen allergisch ist.

Die Housewives sind dabei auch ganz anders als die Frauen aus Sex and the City. Sie sind-bis auf Susan-nicht mehr auf der Suche nach Mr. Right, sondern finden sich mit den Männern ab, die sie zu Hause haben, auch wenn diese "Mr. Okay" nicht immer ihren Träumen entsprechen. Dennoch bleiben sie bei ihnen (vgl. Krause 3). Im Zentrum der Serie steht die "Holy Family", die für die Amerikaner ja so wichtig ist. Nur ist sie in Desperate Housewives nicht unbedingt ein Ort der Moral und des Anstands, sondern teilweise des Lasters und der Verzweiflung. Deshalb ist eine interessante, wenn auch kontroverse Lesart der Serie, dass die Frauen für ihre Vergehen (vom Gärtner bis zu den ausgesetzten Kindern) bestraft werden und deshalb unglücklich sind, weil sie von den traditionellen Werten abgerückt sind (vgl. Hartmann-Wolff 94).

Toughe Familienmanager oder Heimchen am Herd?

Generell hat es natürlich viele Auseinandersetzungen um die Darstellung von Hausfrauen in der Serie gegeben. Streitpunkte waren dabei, ob die Sendung ein modernes Frauenbild oder rückwärtsgewandte Stereotypen präsentiert, ob die Housewives Heimchen am Herd oder toughe Familienmanager sind, und ob die Serie traditionelle Werte propagiert oder kritisiert.

Zahlreiche Hausfrauenvereinigungen haben sich für die Absetzung der Sendung eingesetzt, weil der Ruf der amerikanischen Hausfrau ihrer Meinung nach verunglimpft wird. Vor allem viele Republikaner sehen in der Serie eine unverschämte Kritik an traditionellen Werten und der amerikanischen Familie. Bei den TV-Ratings schneidet Desperate Housewives auch generell besser in den Staaten ab, die als demokratische Hochburgen gelten, wie diese Karten zeigen. Besonders interessant dabei ist, dass die Serie auch unter den Republikanern jede Menge Zuschauer, wie man sehen kann.

 

Karte 1: TV-Ratings für Desperate Housewives (Orenstein 39).

Karte 2: Ergebnisse der Präsidentenwahl 2004 (Orenstein 39).

Werfen wir kurz einen Blick darauf, wer sich Desperate Housewives überhaupt ansieht: Die Zuschauer sind zu 60 Prozent weiblich und zu 65 Prozent älter als 35. Bei den wohlhabenden Zuschauern hat die Serie etwas mehr Fans als bei den Geringverdienern. Die Mehrheit der Zuschauer (rund 80 Prozent) ist weiß. Der typische Zuschauer hat damit mittleres Einkommen, ist weiblich, weiß und älter als 35-im Prinzip also der Typ Frau, den auch die Figuren in der Serie repräsentieren (Orenstein 39).

Damit komme ich zum nächsten Punkt, der an der Sendung kritisiert wird: Die stereotype Darstellung der Frauen, die alle weiß, attraktiv und wohlhabend sind. Die einzige Latina, Gabrielle, wird-so Kritiker-klischeemäßig als sexgierig hingestellt. Nur eine der Housewives arbeitet, und immer sind die Frauen für die Kindererziehung zuständig (vgl. Pozner 40). Allerdings werden die Männer genauso stereotyp dargestellt: Sie sind fast ausschließlich dazu da, von den Frauen manipuliert zu werden und nehmen lediglich Nebenrollen ein (vgl. Simon-Zülch 29). Dazu muss man sagen, dass jede Serie auf Stereotypen basiert. Ohne Stereotypen wäre ja auch keine Überzeichnung möglich. Dennoch wird dem Autor Marc Cherry vorgeworfen, er habe mit seiner Serie ein rückwärtsgewandtes Frauenbild gezeichnet und sich der Propagierung traditioneller Werte und Rollenverteilung verschrieben. Außerdem zeige Desperate Housewives ein völlig unrealistisches Bild vom Hausfrauenalltag. So schreibt der Stern: "Was den Alltag von Hausfrauen und Müttern angeht, ist diese Serie etwa so wahrhaftig wie das Dekolleté eines Hollywoodstars" (Kruttschnitt 74). Die amerikanische Kolumnistin Jennifer L. Pozner wird sogar noch deutlicher: "Desperate Housewives reinforces sexual, racial and class stereotypes. The show's fundamental premise is that child care is solely women's resonsibility. Every female character is portrayed as self-indulgent and incompetent, that's just good old fashioned Hollywood crap" (Pozner 43).

Fans der Serie dagegen betonen, dass sich keine Sendung vorher überhaupt ernsthaft mit den Problemen und Herausforderungen des Hausfrauenalltags auseinandergesetzt und die Leistungen der Hausfrauen gewürdigt habe (vgl. Seigel 40). Nach Diana Zinklers Auffassung ist "Desperate Housewives [...] der Alltag einer bislang vernachlässigten Bevölkerungsgruppe" (o.S.), während Uwe Jean Heuser betont: "Amerikas Hausfrauen kommen als attraktive, gerne auch geliftete Wesen mit allen menschlichen Gelüsten daher und nicht mehr als bedürfnisarme Biederfrauen früherer Tage" (55). Und Jessica Seigel stellt fest: "When we finally get a prime-time hit about women's domestic struggles-why is it a lightning rod for everything wrong with TV and America, including racism, classism and lookism. This show doesn't hark back to the past-it skewers the myths of motherhood and suburban bliss with Feminine Mystique-inspired irony" (41).

Realitätsferne Stereotypen, veraltetes Frauenbild oder Würdigung der modernen, emanzipierten Hausfrau und dem was sie leistet? "Housewives"-Erfinder Marc Cherry hat diese Frage selbst nie wirklich eindeutig beantwortet, sondern nur gesagt: "I love the values the suburbs represent. Family, community, God" (Pozner 42). Cherry ist selbst Republikaner, bricht allerdings mit traditionellen, republikanischen Werten, denn er bekennt sich öffentlich zu seiner Homosexualität.

Wie man Desperate Housewives auch lesen möchte, die Serie trifft den Nerv der Zeit und spielt mit der kleinen, gemeinen Neugier, die wir alle kennen. Klatsch und Tratsch im Freundeskreis, Boulevardmagazine und Serien wie Desperate Housewives—sie alle leben von kleinen (manchmal schmutzigen) Geheimnissen. "Everyone has a little dirty laundry" und in Desperate Housewives gibt es verdammt viel dreckige Wäsche.


1 Zuschauerzahlen für Deutschland und Bayern sind der GFK-Medienforschung des Bayerischen Rundfunks entnommen.

Verzeichnis der zitierten Literatur

Billen, Andrew. "Sunny Delight: Men Get the Women They Deserve in a Hot New Drama." New Statesman 17 Jan. 2005: o.S.

Clark, Pete. "Desperate Housewives." Evening Standard 10 Jan. 2005: o.S.

Fernandez, Maria Elena. "Men love their 'Housewives'." Los Angeles Times 12 Nov. 2004. 9 Juni 2005 <http://desperatehousewives.ahaava.com/articles/111204.htm>.

Gilbert, Matthew. "Voice-over speaks to viewers." Boston Globe 11 Nov. 2004. 9 Juni 2005 <http://desperatehousewives.ahaava.com/articles/111104.htm>.

Hanfeld, Michael. "Leichen im Pool." Frankfurter Allgemeine Zeitung 12 Apr. 2005: 44.

Hartmann-Wolff, Elke. "Sex and the Vorstadt." Focus 1 (2004): 94.

Heuser, Uwe Jean. "Abgründe der Vorstadt" Die Zeit 27 Jan. 2005: 55.

Hornig, Frank. "Dramen der Vorstadt." Der Spiegel 14 (2005): 182.

Kaiser, Andrea. "American Beauties." Tagesspiegel 10 Apr. 2005: 35.

Krause, Matthias B. "'Verzweifelte Hausfrauen' im amerikanischen Fernsehen/ABC produziert 'Sex and the City' für Republikaner." Stuttgarter Zeitung 9. Dez. 2004: 3.

Kruttschnitt, Christine. "Und ewig bockt das Weib." Stern 7 Apr. 2005: 74.

Orenstein Catherine. "Housewife Wars." MS Magazine (Spring 2005): 36-39.

Pozner, Jennifer L. "Desperately Debating Housewives." MS Magazine (Spring 2005): 43.

Reissmann, Carla. "Desperate Housewives, unzufriedene Hausfrauen in perfekter Vorstadt." dpa-Basisdienst Hamburg 7 Apr. 2005: 1.

Schmitt, Uwe. "Sex in der Vorstadt." Die Welt 14 Dez. 2004: 12.

Seigel, Jessica. "Desperately Debating Housewives." MS Magazine (Spring 2005): 41.

Simon-Zülch, Sybille. "Was für ein Glück!" epd Medien 4 Mai 2005: 29.

Zinkler, Diana. "Die neuen Hausfrauen." Hamburger Abendblatt 13 Apr. 2005. 30 Juni 2005 <http://www.abendblatt.de/daten/2005/04/13/421046.htm>.