Don DeLillos Bilder

Fabian Diesner

Das wissenschaftliche Betätigungsfeld der Visual Studies umspannt einen sehr großen Rahmen: sei es die Malerei, die Fotografie und Skulpturen, oder Film und Fernsehen. Eine Wahrnehmungsanalyse erscheint bei jedem Sujet sinnvoll. Es soll anhand des Romans MaoII von dem amerikanischen Autor Don DeLillo nun gezeigt werden, dass die Literatur durchaus auch in den Visual Culture Studies ihren Platz findet. Man könnte Don DeLillo, geboren in Jahre 1936 in New York, als die Summa verschiedenster visueller Repräsentationen nennen. Schon in seinem ersten Buch Americana von 1971 wird seine Faszination an unserer multimedialen Gesellschaft und deren Konfliktpotenzial deutlich. Dabei bedient er sich nicht nur geschichtlicher Ereignisse, die ikonographischen Stellenwert erlangt haben, wie das Baseballspiel zwischen den New York Giants und den Brooklyn Dodgers 1951, während zeitgleich die erste russische Atombombe gezündet wurde, sondern DeLillo spielt mit der gesamten Bandbreite der visuellen Medien: der Fotografie, dem Fernsehen, Filmen, der Kunst, dem Internet. All dies verschmilzt in seinen Romanen zu einem Konglomerat, welches sich kritisch mit unserer heutigen Gesellschaft auseinander setzt. Der Grund für die Auseinandersetzung mit Visualität mag von DeLillos früherer Arbeit herrühren, als er in der Werbebranche tätig war.

Der Fokus liegt gerade auf diesem zeitgenössischen Autor, da er sich eines Wahrnehmungsraumes bedient, den der Leser kennt. DeLillos Meisterschaft besteht darin, wie er durch Sprache Bilder in den Köpfen der Menschen entstehen lässt, wie er die Wahrnehmung zu lenken vermag, mit ihr spielt und dem Leser dabei dennoch den wichtigsten Part überlässt-nämlich das Lesen.

Da der Plot des vorgestellten Romans MaoII von essentieller Bedeutung ist, soll kurz auf den Inhalt von MaoII eingegangen und daran schon einmal illustriert werden, wie zentral der Begriff des Bildes im weitesten Sinne in diesem Roman ist.

Der Protagonist heißt Bill Gray, ist Schriftsteller und lebt seit seinem größten, aber auch einzigen literarischen Erfolg in völliger Abgeschiedenheit in der Nähe von New York. Ohne Aussicht auf eine Publikation arbeitet er seit Jahren tagtäglich an seinem nächsten Buch, da das Schreiben therapeutischen Stellenwert für ihn hat: "I've always seen myself in sentences. I begin to recognize myself, word by word, as I work through a sentence. The language of my books has shaped me as a man" (DeLillo 48). Mit ihm leben Karen, eine ehemalige Anhängerin der Moon-Sekte und Scott, ein glühender Verehrer von Grays Romanen und mittlerweile sein Sekretär. Beide stellen eine Ersatzfamilie für Gray dar und organisieren dessen Leben, damit er ungestört arbeiten kann. Obwohl der Autor seit 27 Jahren weder ein Interview gegeben hat, noch in anderer Form in der Öffentlichkeit zu sehen war, fasst er den Entschluss, sich von der schwedischen Fotografin Brita Nielssen ablichten zu lassen, die sich zum Auftrag gemacht hat, nur Schriftsteller zu portraitieren. Dies steht jedoch in diametralem Gegensatz zu Bills Abneigung gegenüber den visuellen Medien, die er für korrupt hält. "The image world is corrupt, here is a man who hides his face" (DeLillo 36). Gray ist ein Mann, der sich nur in der Literatur finden und nur über Sprache mitteilen kann. Der Akt des Fotografiert-werdens ist für ihn gleichbedeutend mit einer Veränderung seiner Persönlichkeit, es kommt gar einem Todesurteil gleich. "Sitting for a picture is a morbid business. ... It struck me just last night these pictures are the announcement of my dying. ... How are you changing me? I can feel the change like some current just under the skin" (DeLillo 42-43). Dieses Phänomen der Transformation kommt schon bei Roland Barthes zur Sprache, der in Camera Lucida beobachtet, dass "once I feel myself observed by the lens, everything changes: I constitute myself in the process of 'posing', I instantaneously make another body for myself, I transform myself in advance into an image. ... I feel that the Photograph creates my body or mortifies it, according to its caprice" (Barthes 10-11). Tatsächlich verändert sich Grays Leben daraufhin maßgeblich. Er nimmt zu seinem alten Freund und Verleger Charly Everson wieder Kontakt auf, der ihn davon überzeugen kann, eine Lesung in London zu Gunsten eines französischen Dichters zu halten, der von maoistischen Terroristen gefangen gehalten wird. Seine mediale Präsenz soll demnach benutzt werden, um politischen Druck auf die Terrororganisation auszuüben. Die Lesung in England scheitert jedoch durch ein Bombenattentat der besagten Terrororganisation, woraufhin Gray sich auf eigene Faust nach Athen aufmacht, um den Rebellenführer persönlich aufzusuchen und die Freilassung der Geisel zu fordern. Doch auch dieser Versuch, aus seiner Isolation auszubrechen, seinem Leben abseits der Korrekturen seines Buches neuen Sinn zu geben, scheitert. Gray erliegt den Verletzungen eines banalen Autounfalls auf der Fährüberfahrt in den Libanon. Dem verstorbenen Autor werden die Brieftasche, sowie alle weiteren Dokumente, die ihn identifizieren könnten, gestohlen."

Es wird die Frage laut, ob Literatur und Sprache gegenüber der Macht der visuellen Medien noch sinnstiftende Elemente unserer Kultur sind, doch anhand von MaoII soll im Folgenden gezeigt werden, dass DeLillo hier nicht nach Barthes "den Tod des Autors evoziert", sondern ihn vielmehr der Herausforderung stellt, sich gegenüber den visuellen Medien zu behaupten. Zunächst soll DeLillos Bilderrepertoire näher vorgestellt und analysiert werden.

Man kann die Repräsentation von Bildern in dem Roman in drei Teile gliedern: zum einen finden sich fünf Fotografien in dem Buch, die alle so genannte screenshots von Nachrichtensendungen im Fernsehen sind und zudem in die Handlung eingeflochten sind. Zum anderen präsentiert uns DeLillo die Dokumentarfotografie durch die Augen der Fotografin Brita Nielssen. Letztendlich soll der Bogen noch ein wenig weiter, nämlich zur visuellen Kunst gespannt werden, deren Betrachtung schon auf Grund des Titels und des damit verbundenen Covers, essentiell ist.

Noch bevor der Leser mit der Geschichte beginnen kann, nämlich noch vor dem Impressum, wird er mit einer doppelseitigen Fotografie der Studentenrevolten auf dem Tiananmen Platz Ende der 80er Jahre konfrontiert. Im Plot wird dieses Bild in einer Nachrichtensendung wieder aufgenommen, die Karen und Brita gemeinsam in New York verfolgen, als Karen zum einen nach Bill sucht, und zum andern versucht das Leid von Obdachlosen in New Yorks Straßen zu lindern. Zentrales Element dieser Bilder ist die unglaubliche Masse an Menschen, ein Faktum welches gleichsam auch die anderen TV Sequenzen kennzeichnet. Alle Szenen der Fernsehberichterstattung sehen wir durch die Augen Karens. "A daylight scene comes on of a million people in a great square and many banners swung aloft with Chinese writing. She sees people sitting with hands calmly folded over knees. She sees in the deep distance a portrait of Mao Zedong. Then rain comes on. They're marching in the rain, a million Chinese" (DeLillo 176). Karen ist äußerst sensibel, was die Wahrnehmung ihrer Umwelt betrifft. Als früheres Mitglied der Moon-Sekte wurde sie erst "brainwashed" und dann "reprogrammed", das heißt systematisch von der Abhängigkeit der Sekte durch ihre Eltern befreit. In ihr manifestiert sich, was Douglass Keesey die "Medienobsession der postmodernen Gesellschaft" (186) nennt, oder wie Bill Gray lapidar meint: "She comes from the future" (DeLillo 85). Die Zukunft, die in dieser Sequenz evoziert werden soll, gehört der Masse, in der sich das einzelne Individuum verliert, geradezu auflöst. Einzelne Personen sind nicht mehr erkennbar, da das menschliche Auge die Vielzahl an Gesichtern gar nicht mehr wahrnehmen kann, sondern über die Oberfläche gleitet, bis etwas Außergewöhnliches den schweifenden Blick stoppen lässt. "The troops come jogging in total cadence in that lazy drag step, row after row, and she wants it to keep on going, keep showing the rows of jogging troops with their old-fashioned helmets and toy-like guns. They show a smoldering corpse in the street" (DeLillo 177). Beinahe unwirklich erscheint ein Ereignis von solch geschichtlicher Vehemenz, bekommt es der Leser durch die Augen der jungen Karen geschildert. Und doch zeigt es, wie stark die visuelle Reproduktion des Fernsehens unsere Gesellschaft dahin gehend beeinflusst, dass man zwar durch die Berichterstattung fast in medias res zu sein scheint, aber gleichzeitig eine entfremdende Distanz zu dem Repräsentierten hat. An anderer Stelle wird diese Tatsache besonders deutlich. Wenden wir uns also dem nächsten Medienspektakel zu, einer Massenhochzeit der Moon-Sekte im Yankee Stadium. Auch dieses Ereignis ist in Form einer Schwarzweißaufnahme in den Roman eingegliedert, diesmal unmittelbar vor Beginn der Erzählung. Die Referenz wird sofort textuell verarbeitet, indem Karen und ihre Eltern als Charaktere des Romans eingeführt werden. Die besagte Hochzeit ist eine Massenvermählung von tausenden Anhängern des Sektenführers Reverend Moon. Auch Karen ist unter ihnen und besiegelt damit ihren Eintritt in die Sekte, wohingegen ihre Eltern Maureen und Rodge im Publikum sitzen, um der Zeremonie beizuwohnen. Diesmal wird das Ereignis jedoch nicht im Fernsehen durch die Augen eines Protagonisten präsentiert, sondern der Leser ist mit Karens Eltern live dabei. Die Erzählerinstanz ist zwar kontinuierlich auktorial, doch DeLillo erzeugt eine verblüffende Unmittelbarkeit, indem er Rodge mit einem Fernglas das Geschehen betrachten und berichten lässt. Es reicht aber nicht allein aus, dem Spektakel zu folgen, sondern entscheidend ist, dass die anwesenden Eltern während des Festaktes versuchen, das Visuelle mit Hilfe von Fotos zu kanalisieren, zu verstehen und zu verarbeiten. Fotografie fungiert hier als Bewältigungsprozess, da das Wahrgenommene erst durch die Kamera zwischen Betrachter und dem Motiv sich als real zu manifestieren scheint. "The brides and grooms exchange rings and vows and many people in the grandstands are taking pictures, standing in the aisles and crowding the rails, whole families snapping anxiously, trying to shape a response or organize a memory, trying to neutralize the event, drain it of eeriness and power" (DeLillo 6). Neben der Bewältigung von visuellen Reizen spielt der Aspekt der Konservierung eine große Rolle. Indem Karens Vater nach ihr in der Menge sucht, um sie auf Film fotografisch zu verewigen, scheint es, als wolle er die Individualität und Intimität der Heirat seiner Tochter bewahren. Das Moment des sehr privaten Glücks für immer gebannt zu haben, ist nur mit einem Foto dieses einen Brautpaares möglich - bei einer Massenhochzeit mit 6500 Menschen eine schier unlösbare Aufgabe. Je weiter Rodge mit Hilfe des Fernglases das Geschehen weiter einschränkt, sozusagen reinzoomt, spürt er eine wachsende Distanz zwischen sich auf der Tribüne und der religiösen Feier auf dem Rasen des Stadions. So schreibt Douglas Keesey: "The father's picture-taking does not bring him any closer to Karen; it merely hastens her transformation into an image-an American society's conventional image of the young bride, not a Moonie image, but an image nevertheless" (184). Wie zentral die Bedeutung der Fotografie als kollektives Erinnerungsmedium ist, zeigt die Tatsache, dass DeLillo nicht nur, wie gerade gesehen, den Betrachter, sondern auch das fotografierte Objekt zum Zeitpunkt der Bildentstehung sprechen lässt. Die Erzählperspektive gleitet von Rodge zu Karen, deren Gedanken in einem stream of consciousness dem Leser zugänglich werden: "There are as many people taking picures as there are brides and grooms. One of them for every one of us. Clickety-click" (DeLillo 10). Sogar der technische Vorgang des Fotografierens ist in dieser Onomatopoeia festgehalten: Clickety-click: der Auslöser öffnet die Blende und hält die gerade verstrichene Sekunde der Wirklichkeit auf dem Film fest, die Basis für die spätere Betrachtung in Fotoalben und die Archivierung in Diakästen. So heißt es weiter: "They're here but also there, already in the albums and slide projectors, filling picture frames with their microscopic bodies, the minikin selves they are trying to become" (DeLillo 10).

Es soll nun auf ein weiteres der via Fernsehen vermittelten Massenbilder eingegangen werden, dessen längere Betrachtung äußerst verstörend und beklemmend sein kann. Dennoch soll anhand eines Ausschnitts aus einer Fernsehberichterstattung deutlich werden, mit welcher Brillanz Don DeLillo es schafft, eine schreckliche visuelle Erfahrung in Sprache zu überführen. Geschichtliche Grundlage ist das Jahr 1989, als im Hillsborough Fußballstadion in England durch eine Massenpanik 96 Menschen den Tod fanden und mehr als 700 Weitere verletzt wurden. Als Cover des ersten Teils von MaoII befindet sich erneut eine Fotografie, wieder in Grauschattierungen, die das grausame Ereignis zeigt. Die Verknüpfung zur Handlung ist auch hier Karen, die gewohnheitsmäßig ohne Ton fern sieht und durch deren Augen das Desaster vermittelt wird. Betrachtet man den Bildausschnitt der Romanseite, ist es dem Betrachter fast nicht möglich, die gesamte Tragweite der Katastrophe zu ermessen. Zu viele Menschen werden sprichwörtlich auf das Bild gedrängt, als dass eine klare Definition von Individuen möglich wäre. DeLillo lässt Karen die Fernsehbilder in slow motion wahrnehmen, so dass der Eindruck eines Fotos entsteht. Der Leser wird gezwungen, mit ihren Augen das Ereignis zu verfolgen und kann nicht wie bei der Betrachtung eines visuellen Bildes selbst den Blick lenken. DeLillo präsentiert einen Baustein nach dem anderen, das Lesetempo bestimmt die Wahrnehmung.

" She sees men and boys at first, a swarming maleness, a thickness of pressed-together bodies. Then a crowd, thousands, filling the screen. ... She sees the faces of a woman and a girl and the large hand of a man behind them, the woman's wet tresses, her arm twisted against the steel strands of the fence, the girl crushed and buckled under someone's elbow, the boy in the white cap with red peak standing in the midst, in the crush, only now he senses, his eyes are shut, he senses he is trapped, his face is reading desperation. She sees people caught in the strangleholds of no intent, arms upflung, faces popping out at her, hands trying to reach the fence but only floating in the air, a man's large hand, a long-haired boy in a denim shirt with his back to the fence, the face of the woman with the tresses hidden behind her own twisted arm, nails painted glossy pink, a girl or woman with eyes closed and tongue showing, dying or dead " (DeLillo 33-34).

Fast erschreckend kunstvoll erscheint hier der Bildaufbau und die Detailtreue der Darstellung. "[I]t is like a religious painting, the scene could be a fresco in a tourist church, it is composed and balanced and filled with people suffering" (DeLillo 33). Durch die Parallelziehung mit einem Fresko schafft DeLillo einerseits eine gewisse Distanz zu dessen Inhalt, andererseits arbeitet er direkt mit einer kollektiven Bilderfahrung der Leser, die auf der religiöse Motivik des Dargestellten basiert und den "Leseeffekt" noch verstärkt. Seine Sätze sind zwar lang, aber durch ihre hypotakischen Reihungen und den elliptischen Stil flüssig und geschmeidig zu lesen. Die Medienbilder berühren nicht nur den Leser, sondern in erster Linie deren Medium, nämlich Karen. Ihr instabiler Charakter wird durch die sehr gegensätzliche Wirkung der Massenbilder deutlich. Zum einen wird sie von der visuellen Macht dazu inspiriert, Obdachlosen in New Yorks Tompkins Park zu helfen, um selbst etwas gegen menschliches Leid zu tun. Zum anderen sieht sie den Kampf des Individuums gegen die Masse als schon verloren an und nimmt sich des Schicksals der Leidenden an-ein Zustand der Karen lähmt: "There were times she became lost in the dusty light, observing some survivor of a national news disaster, ... which made her seem involved not just in the coverage but in the terror that came blowing through the fog" (DeLillo 117).

Anhand dieser drei Beispiele wird klar, dass Medienbilder im Allgemeinen, und Repräsentationen von Massen im Besonderen ein großes Interesse DeLillos sind. Es geht nicht nur um die bloße Darstellung, sondern um das kritische Hinterfragen unserer visuellen Medienkultur. Karens Obsession mit Fernsehbildern erschreckt uns, und gleichzeitig kennen wir das Phänomen des Schaulustigen in jedem von uns.

Im folgenden Teil soll der Focus auf dem zweiten 'Genre' von Bildern in MaoII, nämlich der Dokumentarfotografie, liegen. Nicht nur die visuelle Welt der neuen Medien ist für DeLillo ein wichtiges Element unserer Gesellschaft, sondern auch das Medium, in dem alle Neueren ihren Ursprung fanden: die Fotografie.

In dem Sinne wie Karen als Symbolfigur für die gesellschaftliche Fixierung auf die Massenmedien steht, so repräsentiert Brita Nielssen das Medium der Fotografie als Darstellung von Wirklichkeit, Augenblicklichkeit und Wahrheit. Früher fotografierte sie das Straßenleben New Yorks, indem sie sich in die Menge mischte und verschiedenste Motive aus ihrer Umgebung ablichtete: "And I roamed the streets first day, taking pictures of city faces, eyes of city people, slashed men, prostitutes, emergency rooms ..." (DeLillo 24). Die Schönheit des Schreckens war Britas Muse, bis sie sich entschloss, nur noch Schriftsteller zu portraitieren. Zentral für ihre Arbeit ist die Herausforderung, ohne Spezialeffekte oder fotomanipulierende Techniken das Konterfei der jeweiligen Person einzufangen. Ihr geht es anfänglich nicht um eine politische Konnotation der Bilder, sondern um eine Bestandsaufnahme. "I'm simply doing a record. ... I eliminate technique and personal style to the degree that this is possible. ... I want to do pictures that are unobtrusive, shy actually. Like a work-in-progress " (DeLillo 27). Brita besetzt zu Beginn des Romans die Vermittlerposition zwischen dem sprachlichen Medium der Literatur und der visuellen Informationsgesellschaft. Bill Gray, der medienverachtende Schriftsteller, bewegt sich gegen seine Prinzipien auf die Fotografin zu, weil er zu realisieren beginnt, dass der Einfluss von Autoren auf die Gesellschaft durch die wachsende Bedeutung der Massenmedien stark nachgelassen hat. Stattdessen sind es Terroristen, die das Massenbewusstsein durch ihre wachsende Medienpräsenz erreichen. "What terrorists gain, novelists lose. The degree to which they influence mass consciousness is the extent of our decline as shapers of sensibility and thought. The danger they represent equals our own failure to be dangerous" (DeLillo 157). Doch Britas Position gegenüber dem politischen Gehalt ihrer Bilder ändert sich drastisch. Sie bildet einen Rahmen um die Erzählung von Bill Gray. Anfangs besteht ihre Herausforderung darin, den medienscheuen Schriftsteller zu fotografieren. Im letzten Kapitel In Beirut hingegen stellt DeLillo den Leser der Fotografin bei ihrer Mission, den Rebellenführer Abu Rashid für ein deutsches Magazin zu fotografieren, an die Seite. Nielssen hat eine Entwicklung von der individualistischen Künstlerin zu einer Repräsentantin des Medienspektakels durchlaufen. Ihr auf ihre Art poetisches Streben, Schriftstellern eine zweite Bühne zu geben, ist vom Nervenkitzel der Sensationsfotografie abgelöst worden. "She does not photograph writers any more. It stopped making sense. She takes assignments now, does the interesting things, barely watched wars, children running in the dust. Writers stopped one day" (DeLillo 231). Allein die Formulierung writers stopped one day subsumiert die Ambivalenz der neuen Medien, in diesem Fall der Fotografie. Literatur hört auf zu sein, sobald Bilder auf unsere Wahrnehmung zu wirken beginnen. Bei der Fotosession in Beirut passt DeLillo die Sprache dem Medium und dessen Inhalt geschickt an. Brita fotografiert Rashid, während sich eine Konversation über den Terrorismus entwickelt. "Take away their faces and voices, give them guns and bombs. Tell me, does this work? She says. . She reloads quickly. . We do history in the morning and change it after lunch. . She reloads and shoots" (DeLillo 234-35). Lautmalerische Sequenzen wie diese ziehen sich durch das gesamte finale Kapitel In Beirut. Wie in der Anfangspassage des Romans im Yankee Stadium, wird dem Leser ein Stück Realität durch die Augen einer Romanfigur vermittelt. So überrascht es nicht, dass die Sprache sehr deskriptiv, strukturiert und wie ein geschulter Blick erscheint, der eine größtmögliche Vielzahl an Eindrücken wahrnehmen kann. Wir sehen wie eine Fotografin. "She sees streaky lights bolting from the coast and making long bodiless arcs over the roofscape and down through scuds of dark smoke that roll across the low sky. A black van goes by right below and there's a curly haired guy sticking out of the sunroof wearing an iridescent track suit and shouldering a rocket-propelled grenade launcher that's about seven feet long" (DeLillo 239).

Abschließend soll auf die visuelle Kunst eingegangen werden, die in Form von Kunstwerken von Andy Warhol und einer Fotografie von Gary Winogrand in den Roman eingebettet sind. Es ist nicht zu übersehen, dass das Cover der Vintage Ausgabe von 1991 ein Kunstwerk von Andy Warhol, nämlich ein Portrait von Mao Tse Tung, in farblicher Verfremdung zeigt. Diese erste Referenz des amerikanischen Künstlers, der zwischen 1928 und 1931 geboren und 1987 gestorben ist, wird inhaltlich mehrere Male wiederholt. Warhol war einer der größten Pop-Künstler der Postmoderne und steht für viele Kritiker als die Personifikation des Medienstars. Sein eigenes Portrait ist in tausendfacher maschineller Weise reproduziert und im öffentlichen Raum gezeigt worden. Warhols Konzept steht jedoch Bill Grays medienfeindlichen Lebensentwurf absolut entgegengesetzt gegenüber. Um diese zwei oppositionellen Geisteshaltungen näher zu untersuchen, ist es interessant, die Literatur des Bill Gray ebenfalls mit einem Bild, in diesem Falle einer Fotografie, zu erklären. Im Gespräch mit Brita sagt Scott in der ersten Hälfte des Romans: "When I read Bill I think of photographs of tract houses at the edge of the desert. There's an incidental menace. That great Winogrand photo of a small child at the head of a driveway and the fallen tricycle and the storm shadow on the bare hills" (DeLillo 51). Nicht nur für Grays Literatur ist diese Passage zutreffend, sondern in erheblichem Maße für DeLillo. Beide produzieren Literatur, die bewegt, kritisiert und Menschen zum Nachdenken anregen kann. DeLillo schreibt sich damit in die Opposition zwischen dem überhöhten Künstler des öffentlichen Lebens (Warhol) und dem isolierten, medienscheuen Autoren (Gray), mit ein. Durch Sprache lassen Autoren Gefühle im 'Betrachter' wachsen, eine Gabe, die lange Zeit nur der visuellen Kunst zugeschrieben wurde. Doch ist dies nicht die einzige Opposition in dieser 'Figurenkonstellation': Gray mag zwar in Bezug auf seine Lebensphilosophie und Wahl des Mediums der genaue Gegenpart zu Warhol sein. Doch verbindet den Schriftsteller mit dem Konzept des Bildes Mao einiges. Ein detaillierter Vergleich des fiktiven Schriftstellers und des Maoistenführers wäre Gegenstand einer speziellen Analyse, aber dennoch soll darauf hingewiesen werden, dass die Kontaktbögen, die Brita von Gray angefertigt hat, der endlosen Reihe von Warhols Mao- Portraits im Charakter der Darstellung sehr ähnlich sind. Des Weiteren erscheint laut Jesse Kavadlo Bill Gray nach Beendigung der Lektüre mehr als ein Bild als eine reale Figur: auch nach seinem Tod lebt er in den zahllosen Manuskripten, in den Köpfen der Leser, in Karen, Scott, Brita und deren Fotos weiter (vgl. Kavadlo). Sein Leben erscheint irgendwie künstlich, ähnlich wie der zur Ikone gewordene Maoistenführer.


Verzeichnis der zitierten Literatur

DeLillo, Don. MaoII. London: Vintage Random House, 1992.

Barthes, Roland. Camera Lucida. 1981.

Keesey, Douglas. Don DeLillo. New York: Twayne, 1993.

Kavadlo, Jesse. Don DeLillo: Balance at the Edge of Belief. New York: Lang, 2004.

Gombrich, E.H. Die Geschichte der Kunst. Frankfurt/M.: Fischer, 1996.

Laschinger, Verena. Ficticious Politics-Factual Prose. Frankfurt/M.: Lang, 2000.

Caporale-Bizzini, Silvia. "Can the intellectual still speak? The example of Don DeLillo's MaoII". Contemporary Literature 34.2 (1993): 105-17.

Handke, Steffen. "'God save us from bourgeois adventure': The Figure of the Terrorist in Contemporary American Conspiracy Fiction". Studies in the Novel 26.2 (1996): 219-44.