"Time-Based Paintings": Jeremy Blakes Winchester Trilogy (2001-2004)

Sonja Teine

Das gezeigte Werk trägt den Titel Winchester Redux und ist eine fünfminütige Kurzversion der Winchester Trilogy, dem neuesten multimedialen Werk Jeremy Blakes, das bis vor wenigen Tagen in der Münchner Galerie Tanit erstmals in Europa ausgestellt wurde. Es soll eine erste Vorstellung davon vermitteln, wie die von Blake selbst als "Time-Based Paintings" bezeichneten Werke im Allgemeinen und die Winchester Trilogy im Besonderen aussehen.

Ich habe dieses Werk ausgewählt, da mich die Ambivalenz, die der Trilogie inhärent ist, besonders faszinierte. Die außergewöhnliche Farbenpracht und Schönheit der Darstellung, die Assoziationen einer Traumwelt hervorrufen, habe ich als besonders ästhetisch empfunden. Gleichzeitig fühlte ich mich beim Betrachten des Tryptichons unwohl. Ausgelöst wurde dieses Unwohlsein durch das Bewusstsein um die zugrunde liegende Bedeutung des Werkes, die durch Motive der Waffengewalt zum Ausdruck kommt. Der begleitende ,Soundtrack' zur Trilogie, der mal aus angenehm beruhigendem Klicken eines alten Filmprojektors und mal aus spannungsaufbauender Streichermusik wie aus einem Psychothriller besteht, verstärkt dieses Gefühl der Ambivalenz.

Jeremy Blake wurde 1971 als echtes "Blumenkind" von Hippie-Eltern in Washington D.C. geboren. Nach seiner wilden Jugend in der Washingtoner ,Punk Szene' studierte er zuerst am Art Institute in Chicago. 1995 schloss er sein Studium am California Arts Institute mit dem Master Degree of Fine Arts ab. Während seines Studiums spezialisierte er sich zunächst auf figurative Malerei, bevor er gegen Ende des Studiums die Medien Film und Computer für sich entdeckte und seither von der Idee fasziniert ist, die 2D-Logik der Malerei auf das dreidimensionale Medium Film anzuwenden. Obwohl Blake vor allem durch seine digitalen Kunstwerke bekannt ist, sind die Ursprünge seiner Werke meist tief in der Malerei verwurzelt. Er selbst bezeichnet sich vornehmlich als ,Maler' und für ihn stellt der Computer nur eine Weiterentwicklung des Pinsels und somit eine andere Art von Arbeitsinstrument dar. Maßgeblichen Einfluss auf sein künstlerisches Schaffen hatten dabei hauptsächlich amerikanische Künstler der Nachkriegszeit wie James Rosenquist und Morris Louis, aber auch die Farbfeldmalerei Barnett Newmans bezeichnet Blake als wichtige Quelle seiner Inspiration.

Seit Blake, der heute in Los Angeles lebt und hauptsächlich in New York arbeitet, als Kind das erste Mal mit der Geschichte des 'Winchester Mystery'-Hauses in Berührung kam, beeindruckte ihn diese so nachhaltig, dass er 2002 damit anfing, sie zur Grundlage seines neuestes Werkes von "Time-Based Paintings" zu machen.

Sarah Winchester, durch den frühen Tod ihrer einzigen Tochter und den Tod ihres Mannes, des Waffenmagnates William Winchester, in schwere Depression verfallen, fühlte sich zunehmend durch die Geister derer verfolgt, die durch Winchester-Waffen ums Leben gekommen waren. Sie konsultierte einen Spiritualisten, der ihr empfahl in den Westen zu ziehen und dort ein Haus zu bauen, das einerseits die guten Geister beherbergen und andererseits die bösen Geister durch den Lärm anhaltender Bauaktivität abwehren sollte. In 38-jähriger ununterbrochener Bauzeit entstand so in San Jose ein riesiger Gebäudekomplex im bizarr-viktorianischem Stil. 160 Zimmer, 40 Treppenhäuser, über 10.000 Fenster und architektonische Absurditäten wie Treppen, die an der Raumdecke enden, Türen, die vor Mauern gebaut wurden, und Gängen, die in einigen Stockwerken Höhe nach draußen führen, ließ die exzentrische Bauherrin, die in den gesamten knapp vier Jahrzehnten Bauzeit nie Gäste empfing, entstehen. Erst nach ihrem Tod im September 1922 wurden die Bauarbeiten schlagartig gestoppt. Ein Jahr später wurde das Haus der Öffentlichkeit zugänglich gemacht und ist heute eine Disneyartige Touristenattraktion. 1

Blake inspirierte neben der skurrilen Geschichte um die Entstehung des ,Winchester Mystery House' vor allem die Architektur des Hauses, das er als ,architectural wonder' (Weil 12) bezeichnet. Er setzt den viktorianisch anmutenden Baustil des Hauses in spannenden Gegensatz zur psychedelischen Ästhetik der Filme. Unter dieser ästhetisch äußeren Ebene der sirupartig fließenden Bilder liegt jedoch noch eine weitere Ebene, die durchdachte Struktur der Filme. "The overall structure of the Winchester Trilogy is based on the concepts of inner and outer worlds and parallel realities" (11), so Benjamin Weil in seinem Aufsatz "Moving Paintings, Painting Cinema", der im Ausstellungskatalog der Trilogie veröffentlicht wurde. Der drogenrauschartige Bildfluss beginnt mit der Erfassung des äußeren Erscheinungsbildes des herrschaftlichen Wohnhauses, um dann im zweiten Teil in das Hausinnere vorzudringen. Besonders die Teile des Hauses, die im Erdbeben von 1906 zerstört wurden, werden hierbei beleuchtet. Sarah Winchester verstand die Zerstörung als Zeichen der Geister, die mit diesem Bauteil des Hauses unzufrieden waren und entschied sich dazu, diese nicht wieder aufzubauen, sondern stattdessen einfach um den zerstörten Hausteil herum zu bauen. Im dritten Teil schwenkt die Kamera vom Haus hinüber auf den Kinokomplex auf der gegenüberliegenden Straßenseite. Die drei Kuppelbauten der Century 21, 22 und 23 mit ihrem futuristischen Design wurden in der Mitte der 60er Jahre erbaut. Der Bildfluss endet, ähnlich wie er begann, an der äußeren Fassade des Winchester-Hauses.

Die Trilogie umfasst drei unterschiedlich lange Filme, die in Endlosschleifen auf Plasmabildschirme projiziert werden. In der Galerie Tanit wurden sie in drei aufeinander folgenden Räumen präsentiert. Blake bedient sich zwar bei der Konzeption seiner ,Time-Based Paintings' der unterschiedlichsten Medien wie Malerei, Fotografie und Video, doch das Ergebnis ist immer ein malerisches. Nicht nur der Titel macht den Bezug zur Malerei deutlich, sondern auch die Präsentationsweise auf Bildschirmen stellt einen formalen Bezug her: Die Screens geben die klassische rechteckige Form vor, sie übernehmen die Funktion die bei Gemälden den Rahmen zukommt.

Herausgekommen ist eine multimediale Video-Sound-Installation, die den Betrachter durch suggestive Bilder und fließende Übergänge in ihren Bann zieht. Auf eine Handlung hat Blake verzichtet und stattdessen auf unser Bildgedächtnis gesetzt, das durch eine Vielzahl von Cowboy-, Horror- und Südstaatenfilme geprägt ist. Somit ist die Winchester-Trilogie auch eine Abrechnung mit dem amerikanischen Mythos von Freiheit des Menschen, die durch Waffengewalt gegen äußere Feinde verteidigt werden muss. (Gockel)

Blake bestätigt diese Art der Interpretation, die dem Feuilleton der SZ entstammt. Er sieht die Trilogie als destillierte und gleichzeitig abstrahierte Darstellung genuin amerikanischer Mythen und begründet sein Interesse am Thema wie folgt:

My interest in the Mansion is rooted in an understanding that the site is more than just a monument to one person's eccentric preoccupation-it is the tangible outcome from a collision of social and historical narratives. The series knots several mythic strands together in an attempt to justify this architectural free-for-all, and the most significant of these are fundamental to an American national identity. (zit. n. Weil 20)

Wie diese genuin amerikanischen Mythen im Werk dargestellt werden und auf welche Art von Bildgedächtnis Blake dabei setzt, möchte ich im Folgenden erläutern.

Blake begann bei der Entstehung der Winchester-Trilogie wie er meist sein künstlerisches Schaffen beginnt: mit dem Anfertigen von Serien aus Zeichnungen und Gemälden. Als Grundlage dienten neben hunderten von seriell gefertigten Zeichnungen hauptsächlich historisches Foto- und Filmmaterial des Hauses. Dieses bearbeitet Blake Bild für Bild in aufwendiger Weise wobei er an sich einfache Grafikprogramme wie beispielsweise Photoshop und AfterEffects benutzt. Die einzelnen Bilder werden dann letztendlich durch digitale Bildbearbeitungsprogramme animiert, was sie zu einem ,Time-Based Painting' verschmelzen lässt. Blake bedient sich hierbei hauptsächlich der Technologie des Morphens, bei der ein Bild in ein anderes verwandelt wird, wobei meist die entstehenden Zwischenschritte besonders interessant erscheinen. Der Kurator der Winchester-Trilogie- Ausstellung im San Francisco Museum of Modern Art Benjamin Weil beschreibt das Ergebnis so: "Objects gradually change shape, color and brightness, and the slightest moment of inattention can result in having missed a crucial step: when a panel dissolves to reveal yet another layer of an improbable stage set, ... or when a seeming brushstroke turns into what looks more like a film still" (10). Durch die kontinuierliche Veränderung der Bilder erscheinen diese unklar und verschwommen. Das Auge ist ständig auf der Suche nach erkennbaren und ihm bekannten Erscheinungsformen, um diese in sein Bildgedächtnis einzuordnen. Da die eindeutige Zuordnung jedoch durch die psychedelisch-nebulöse Überlagerung der Bilder erschwert wird, entsteht beim Betrachter ein Gefühl der Desorientierung und des Unheimlichen.

Als Beispiel für Blakes Vorgehensweise möchte ich ein Ölgemälde zeigen, das er aus der siebenteiligen Serie "Spiritualized" herausnahm und als Grundlage für den wie eine Schusswunde anmutenden Farbklecks verwendete. Die leuchtendrote Schusswunde erscheint zentral im Bild, nachdem die Fassade des Winchester-Hauses in schwarz-weiß zu sehen war. Diese beiden kontrastierend wirkenden Bilder stellen den Anfang des ersten Teiles der Trilogie, genannt Winchester, dar. Langsam verwandelt sich die Wunde in ein ornamentales, blumenartiges Gebilde, das einem Rorschach-Tintenklecks ähnelt. Der Schweizer Psychiater Hermann Rorschach, der genau zur gleichen Zeit lebte wie die Bauzeit des 'Mystery House' andauerte (1884-1922), entwickelte den nach ihm benannten 'Tintenklecks-Test', der in der diagnostischen Psychoanalyse verwendet wurde. Rorschach behauptete, dass durch die subjektiven Antworten, die Personen gaben, denen abstrakte Tintenkleckse gezeigt wurden, Rückschlüsse auf deren Wahrnehmungsvermögen, Intelligenz und emotionale Charakteristika gezogen werden konnten.2 Die symmetrischen Tintenkleckse lässt Blake zunehmend figurativer werden und schließlich erscheinen Cowboy-Schattenbilder, die in ähnlicher Form bereits vorher als leichte Schatten über dem Haus zu erkennen waren. Diese sollen auf das Erbe und zugleich die Erblast des Winchester-Imperiums, die als 'Gun that won the west' berühmt wurde, hindeuten. Die Anspielung auf den Psychoanalyse-Test in Verbindung mit der Cowboy-Figur fügt sich stimmig in die von Blake intendierte Psychologisierung des gesamten ersten Teiles. Er meint:

Winchester is meant to provide an abstract and emotional tour-not only of the mansion's architecture, but also of some of the more fearful chambers of Sarah Winchester's mind. Its abstract imagery represents supernatural activity, heightened by paranoiac glimpses of shadowy gunfighters and painterly gunshot wounds ... . (zit. n. Weil 19)

Den ersten Teil der Trilogie will Blake als Psychogramm der Witwe selbst interpretiert wissen. Dieser Teil trägt nicht nur ihren Namen, 'Winchester', und kann insofern als Betitelung eines Porträts der Witwe betrachtet werden, sondern mehr noch gewährt er Einblick in ihre verstörte Psyche. Die filmische Tour durch ihr rastloses Gemüt wird durch einen, wie Blake ihn nennt, 'moody Soundtrack' begleitet, der den Eindruck des düsteren Seelenzustand der depressiven Witwe noch unterstreicht. Blake sagt: "Sound in my work functions as mood control. I am interested in the fact that narrative cues, such as suspenseful noises, are extremely disorienting when used in largely abstract, time-based artwork" (Griffin).

Um ein Beispiel dafür zu geben, wie Blake Fotomaterial in seiner Arbeit verwendet, möchte ich noch auf eine Bilderreihe eingehen, die gegen Ende des ersten Teils auftaucht. Zu sehen ist eine historische Aufnahme des Winchester-Hauses, die mit Silhouetten eines schießenden Cowboys überlagert wurde. Daraufhin erscheint das Bild zunehmend verschwommen und im nächsten Moment scheint es in wild lodernde Flammen aufzugehen, indem Blake zentral einen pink-roten Fleck auftauchen lässt, der nach oben hin ausläuft und die Assoziation von dunklen Rauchschwaden aufkommen lässt. Die Bilder morphen weiter ineinander bis schließlich wieder das Anfangsbild der Hausfassade erscheint. Mitchell Schwarzer, Leiter des Departments für Visual Studies am California College of the Arts, versucht eine Beschreibung dieser morphenden, in sich verschwimmenden Bilder: "Much of the imagery is reminiscent of twentieth-century abstract art: drips and zips animated into floating orbs and incandescent fields" (zit. n. Weil 67).

Der zweite Teil, der ein Jahr nach dem ersten entstand, wurde nach dem Jahr des schweren Erdbebens in Kalifornien 1906 benannt. Er weist ähnliche technische Vorgehensweisen wie der erste Teil auf. Filmmaterial sowie Bilder und Zeichnungen Blakes dienen als Grundlage, die Blake zu symbolstarken Bildern verwandelt und die den Betrachter in eine Welt halluzinatorischer Trugbilder führt. Im Fokus liegt nun das Innere des Hauses, das bei dem Erdbeben zerstört wurde.

Der Film beginnt und endet am höchsten Punkt des Hauses, wodurch anfänglich ein Gefühl des Absteigens entsteht. In der Mitte des Filmes wird direkt auf einen Riss in der Wand gezoomt, in dem wir Bilder des Hauses vor und nach dem Erdbeben erkennen können. Blake sieht in dieser Sequenz eine Hommage an Marcel Duchamps Étant Donnés.3 Begleitet wird dieser Teil von Bauarbeits-Geräuschen, die zeitweise durch Musik unterbrochen werden. Schwarzer sieht auch hier die zerstörte Seele der Sarah Winchester durch die Detailgenauigkeit der Kameraerkundungen ausgedrückt:

With a soundtrack that mimics the once-constant din of construction, the work effectively enters Sarah's mind and house simultaneously, navigating a psyche materialized in the form of wood, plaster, glass, wallpaper, and ornament. ... The rooms preserved as ruins, the ruins exposing damaged souls. (zit. n. Weil 67)

Durch die Ornamentik des gefilmten Materials und die Andeutung von Rauchschwaden, die geisterhaft wabern, wird ein gotisch-unheimlicher Effekt erzeugt. Für Blake steht dieser zweite Teil symbolisch für den psychologischen Umgang mit Traumata. Die Verdrängung beziehungsweise Verleugnung des Passierten spiegelt sich auf poetische Weise in der Architektur des Hauses wider:

It is meant to suggest that Winchester 's powerful compulsion to build, is an instance of psychological "haunting"-a frustrated effort to deal with trauma. Her decision to work around the damage rather than repair it exemplifies a typical initial reaction to traumatic events: denial. The resulting architecture is poetic and unselfconsciously symptomatic. (Weil 11)

Wie "1906" beginnt auch der dritte und mit 12 Minuten kürzeste Teil, Century 21, am höchsten Punkt des Winchester-Hauses und zoomt von dort hinüber zu den kuppelförmigen Dächern der drei Filmtheater, "another architectural oddity located next door" (30), wie Benjamin Weil meint. Die futuristische Architektur der drei Kinos erinnert an die geodätischen Kuppelbauten von Buckminster Fuller.4

Laut Mitchell Schwarzer, der neben der Leitung des Departments für Visual Studies am California College of the Arts auch eine Professur für Architectural History inne hat, steht die viktorianische Architektur des 'Mystery Houses' in starkem Kontrast zur Erscheinungsform der Century Theaters. Er beschreibt den Kontrast folgendermaßen: "Whereas the Winchester house stands in for gothic irrationality and a nostalgic reconstruction of a hypothetical past, the neighboring buildings exemplify twentieth century aspirations of modernity" (zit. n. Weil 11).

Der letzte Teil der Trilogie ist in sich wiederum dreigeteilt. Die kurzen Abschnitte sollen das gerade in den drei verschiedenen Kinos laufende Programm darstellen. Im ersten Abschnitt werden Teile eines Charles-Addams-Cartoons verarbeitet, bei dem zwei Kinder Cowboy spielen und mit ihren Spielzeugpistolen auf ein drittes Kind, das als Alien verkleidet ist, schießen. Blake kommentiert das Spiel folgendermaßen: "At first the gunfighters enjoy overpowering the alien, but such delight is possible only as long as their opponent is a known entity. When the alien turns out to be genuine, the stunned children left to cope. The enemy is never quite what we expect" (zit. n. Weil 58).

Der zweite Abschnitt stellt den Kampf zwischen Indianern und Cowboys im Hollywoodwestern dar. Wir sehen eine Duell-Situation und daraufhin einen Mann, der sich selbst durch einen Kopfschuss tötet um sich vor dem sicheren und unehrenhaften Tod durch zwei feindlich gesinnte Indianer zu 'retten'. Blake kommentiert diese Sequenz so: "I hope that the more one views the work, the more demented this kind of endgame thinking begins to seem" (zit. n. Weil 59).

Im letzten Abschnitt wird das Werk des Popkünstler Richard Prince als Referenz genommen. Der 1949 geborene amerikanische Künstler Prince beschäftigt sich vor allem mit Bildwelten und kollektiv trivialen Mythen der westlichen, insbesondere der amerikanischen Alltagskultur. Nicht nur als einer der ersten, sondern auch als einer der Provozierendsten praktizierte Prince das Prinzip der Aneignung, das ursprünglich von Marcel Duchamp entwickelt wurde und ab dem Ende der siebziger Jahre erneut Aktualität erhielt. Noch viel stärker als in der Pop Art wurden dabei Bilder aus der Werbung oder dem Fernsehen scheinbar 1:1 von Künstlern für ihre eigene Arbeit genutzt. Prince begann Anzeigen zu fotografieren und aus diesen Fotos wiederum eigene Bilder zu komponieren. Was im ersten Moment, zum Beispiel in der Serie 'Cowboys' (1980-1987), wie eine exakte Kopie der Marlboro-Werbung scheint, entpuppt sich schon bald durch Details als Unschärfe oder spezifische Betonung der Figur (vgl. Kunstwissen.de). Besonders Princes Arbeit mit dem Marlboro Cowboy ist für Blakes Werk von zentraler Bedeutung: "Prince's Marlboro Man transformed the American Cowboy from vital to spectral and his artwork is an important touchstone for this piece" (Weil 60).

Die Rolle der amerikanischen Ikone des Cowboys übernimmt weiter der Schauspieler und Autor Sam Shepard. Er und die Schauspielerin Raquel Welch tauchen wie Phantome auf. Welch erscheint in Gestalt der 'Hannie Caulder', der Heldin des gleichnamigen Western von 1971. Ihre dargestellte Figur, die nach dem Mord an ihrem Mann selbst zur Revolverheldin wird, sieht Blake als popkulturelles 'Stand-in' und Verkörperung der Sarah Winchester.5

Die Thematisierung des Cowboy-Mythos und dessen filmische Verarbeitung im dritten Teil der Winchester-Trilogie spielen auf die Tatsache an, dass gerade Film, Fernsehen und die Medien dazu beigetragen haben, den Ikonenstatus des "Gunfighters" aufrechtzuerhalten. Blake kritisiert diese Glorifizierung der Figur des Cowboys so:

The figure of the gunfighter facilitates spiritual regeneration through violence, and lawmen and outlaws are thus treated with reverent fear-as are the ghosts of their victims. The drive to conquer new territory played a vital role in the accumulation of the Winchester fortune and in the house's conception, though its owner's specific compulsion to expand was clearly informed by morbidity. (zit. n. Weil 20)

Mitchell Schwarzer interpretiert diesen letzten Teil wie folgt:

The West, conquered by the Winchester rifle, wielded by those supposedly seeking freedom and the American dream, become a specter of paranoia, a heaving frontier where the gunslingers of the past keep playing out the aimless duels- the West as a cascade of clichés. (zit. n. Weil 67)

Auf ästhetisch anspruchsvolle Weise beschäftigt sich Blake mit diesen ur-amerikanischen Idealen und findet im 'Winchester Mystery'-Haus die Verkörperung all dieser Mythen:

The pursuit of happiness (or at least the pursuit of freedom from anxiety and guilt) is also energetically engaged, though for Winchester happiness ultimately proved elusive. In many respects the house is the most hyper-American of places; indeed, Winchester's primary concern was "homeland security"-domestic protection from unseen threats. My intention in pursuing this work is to gently confront by example the way in which American culture grieves and mythologizes violence. (zit. n. Weil 20)

Der amerikanische Traum von der Freiheit und der Expansionsmythos der Manifest Destiny werden in der Winchester-Trilogie thematisiert und kritisch hinterfragt. Zusammenfassend und abschließend möchte ich hier noch einmal Benjamin Weil zitieren: "With the Winchester trilogy, Blake does not just hint at the dangerously seductive power of foundational American myths; he interrogates them. The films root out how this mythology has become embedded in American history and the ways in which it has endured through popular culture" (13-14).


1 Winchester Mystery House. Home page. 7 Juli 2005 <www.winchestermysteryhouse.com>.

2 Wikipedia, die freie Enzyklopädie. 9. Juli 2005 <http://de.wikipedia.org/wiki/Hermann_Rorschach>.

3 1946-1966 arbeitete der französische Objektkünstler im Geheimen an seinem letzten Werk. Das ein Jahr nach seinem Tod 1969 im Philadelphia Museum of Art der Öffentlichkeit zugänglich gemachte Hauptwerk besteht aus einem fensterlosen Raum. Durch zwei Gucklöcher in einer Holztür an der Wand sieht der zum Voyeur gemachte Betrachter eine nackte Frau rücklings auf einem Lager aus Ästen und Blättern liegend. Eine interessante Deutung von Duchamps' Werk im Kontext psychoanalytischer Theorien des begehrenden Blicks findet sich hier: <http://www.toutfait.com/duchamp.jsp?postid=4418&keyword>.

4 Wikipedia, die freie Enzyklopädie. 3 Juli 2005 <http://de.wikipedia.org/wiki/Buckminster_Fuller>.

5 Hannie Caulder, DVD. Regie: Burt Kennedy. Troy, MI: Anchor Bay Entertainment, 2004.

Verzeichnis der zitierten Literatur

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Gockel, Cornelia. "Kunst zum Fürchten." Süddeutsche Zeitung 107 (2005): 47.

Griffin, Tim. Interview: "H-h-h-his Generation-Jeremy Blake Remakes Mod at the Turn of the Millennium" Time Out New York. Rpt. by Feigen Contemporary. 9 Juli 2005 <http://www.feigencontemporary.com/index.php?mode=artists&object_id=28&show=pressindividual&pressid=57>.

Hafner, Hans-Jürgen. "Psychedelische Architekturen." Artnet.de 1 Juli 2005 <www.artnet.de/magazine/reviews/hafner/hafner06-01-05.asp>.

Helfand, Glen. "McMystery Mansion." The San Francisco Bay Guardian 39.26 (30 März-5 Apr. 2005).

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Hunt, David. "Recasting the American West." Tema Celeste 97 (Mai-Juni 2003).

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Pollack, Barbara. "Jeremy Blake 'Autumn Almanac.'" Time Out New York (27 Nov.-4 Dez. 2003): 82.

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Schwendener, Martha. "Technical Knockout." Time Out New York (11-18 Dez. 2003): 20-21.

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Willis, Holly. "Gunslinging Psychedelia: The Moving Paintings of Jeremy Blake." res magazine (Jan./Feb. 2005).